Achtsamer Umgang mit Kindern im Alltag
Achtsamkeit,  Kleinkind,  Persönliches

Achtsamer Umgang mit Kindern: „Sei nicht so bockig“

Was bedeutet achtsamer Umgang mit Kindern überhaupt? Für mich heißt das, erstmal anzuerkennen, dass (auch kleine) Kinder, sogar Babys, bereits eigene Persönlichkeiten sind, die Rechte haben.

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Kinder haben das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Grundversorgung, Liebe, Geborgenheit, Sicherheit und Respekt.

UN-Kinderrechtskonvention

Die meisten von euch werden mir sicher zustimmen und denken, das ist doch selbstverständlich. Aber ganz so einfach ist es ja leider oft nicht. Jugendämter wären nicht überfordert, Kinderheime nicht überfüllt und die Nachrichten nicht voll von schlimmen Nachrichten über Mißbrauch und Gewalt an Kindern.

Zurück zu uns und unserem Alltag mit unseren Kindern. Oft ist der Alltag geprägt von Stress, Zeitdruck, Hetze, ordentlichen Dezibel an Geräuschkulisse und dann „bockt“ noch das Kind beim Anziehen oder sonstigen Alltagsgriffen.

Vermeintlich „bockige“ Alltagssituationen kennen wir alle

  • Die Windel muss gewechselt werden, das Kind schreit und möchte nicht
  • Das Kind soll baden, schreit und möchte nicht
  • Unser Kind soll Zähneputzen, flieht, versteckt sich oder macht „Theater“
  • Wir müssen das Haus verlassen und wollen das Kind anziehen, es möchte aber nicht
  • Für uns ist es kalt in der Wohnung und unser Kind zieht sich die Socken aus
  • Euer Kind weint und schreit, während ihr irgendwas aufräumt oder staubsaugt

Die Liste lässt sich sicher noch unendlich lang weiterführen, aber ihr habt sicher verstanden, worauf ich hinaus möchte. Wir stehen alle mal, meistens sogar öfter pro Tag, vor einer dieser Situationen und manchmal lässt es sich nicht vermeiden, die nötige Handlung auszuführen, ohne Einverständnis des Kindes. Mir geht es hier nicht darum, mein Kind vor JEDER Handlung um Erlaubnis zu fragen. Wobei ich meine Kinder tatsächlich oft frage oder zumindest sage, was gleich folgt und warum dieses oder jenes gleich folgt.

Beispiel: „Dein Bruder muss gleich in der Schule sein, du möchtest doch mitkommen, ihn hinbringen. Dafür muss ich dich jetzt anziehen.“

Ist das Kind wirklich bockig?

Wir sollten verinnerlichen, dass Kinder ihr Verhalten nicht zeigen, um uns zu ärgern, sondern weil sie gerade nicht verstanden werden oder ein anderes Bedürfnis haben als wir. Gerade Kinder, die sich noch nicht artikulieren können, müssen fast alles „über sich ergehen“ lassen, wenn wir der Meinung sind, dieses oder jenes muss halt gerade gemacht werden. Mit ca. 2 Jahren aber, sind Kinder durchaus in der Lage zu bezeigen oder sogar zu bennen, was sie gerade möchten oder besser gesagt, nicht möchten.

Versteht mich nicht falsch: Mir geht es nicht darum, ständig alles zu hinterfragen oder ständig mit meinem Kind zu diskutieren.

Ein achtsamer Umgang mit Kindern heißt für mich, genau abzuwägen, wie wichtig ist mir die Sache gerade, um die es geht. Muss sie jetzt wirklich sofort umgesetzt werden, weil es sonst zu Schwierigkeiten kommt (Beispiel: anziehen, Eltern kommen sonst zu spät zur Arbeit oder Windelwechsel, weil das Kind in Kot sitzt) ODER bin ich nur der Meinung, dass das jetzt sofort gemacht werden muss, obwoh es vielleicht noch ein paar Minuten Zeit hätte. (Beispiel: (gewaltfreies) Zähneputzen, geht vielleicht auch ein paar Minuten oder sogar eine Stunde später. Oder der Wechsel einer recht vollen Pipi-Windel kann vielleicht auch noch etwas warten).

In meinem Alltag habe ich oft festgestellt, wenn ich mein Kleinkind von etwas wegheben wollte, um zum Beispiel besagte Windel zu wechsen, schrie er und gestikulierte. Ich habe ihn wieder abgesetzt und mir angeschaut, was er mir „sagen“ möchte. Oft wollte er nur etwas zurücklegen, etwas irgendwo hinbringen oder kurz zu Ende bringen, was in seinem Kopf noch nicht beendet war.

Wenn ein Kind unkooperativ ist, ist das kein bockiges Verhalten. Ich finde das Wort in Bezug auf Kinder eh ziemlich doof. Vielleicht passt es in den Umgang mit Teenagern, aber nicht mit (Kleinst)kindern.

Achtsamer Umgang mit Kindern im Alltag

Auch bei uns muss es mal schneller gehen und auch mir reißt manchmal der Geduldsfaden und ich kann nicht ewig mit meinem fast 3-jährigen diskutieren, ob er sich die Hose anziehen lässt, wenn draußen 5 Grad sind. ABER: Es gibt Möglichkeiten, die zumindest einen Versuch wert sind!

Gerade gestern war so ein Tag, wo es mir in zwei Situationen besonders aufgefallen ist. Allerdings war Sonntag und wir hatten Zeit, daher hatte ich auch die Ruhe, um entspannt in diese Situationen zugehen.

Situation 1. Kind hatte eine volle Pipi-Windel und natürlich möchte ich vermeiden dass er ausläuft. Wenn er mir aber mehrmals wehement mitteilt: „Nein Mama, bitte nicht. Ich möchte das nicht.“, dann zwinge ich ihn selbstverständlich NICHT mit Gewalt auf den Boden und wechsel seine Windel, auch wenn ich das körperlich könnte. Ich hatte die Zeit, auf ihn einzugehen und ihm die Situation zu erklären.

Ich machte den Vorschlag, sie vor Ort auf dem Boden zu wechseln, während er sein Spielzeug in der Hand hielt. Irgendwann stimmt er zu mit: „Na gut“. Und es war in einer Minute erledigt, ohne Brüllerei.

Situation 2. Er sollte baden. Ich ließ Wasser ein und er fing einen Raum weiter bereits an zu brüllen. Er war müde und ich hätte jetzt das weinende Kind gegen seinen Willen ausziehen und gegen seinen Willen in die Wanne setzen können. Aber was wäre damit gewonnen? Das Kind wäre sauber, aber verknüpft die Badesituation mit einem doofen Erlebnis.

Ich stelle also das Wasser wieder ab, wir warteten eine Weile und Papa setzte sich ins Wasser. Nachdem das Kind seine aktuelle Tätigkeit beendet hatte, fand es die Wanne interessant und wollte mitbaden. Sie lachten und hatten Spaß und genau das erzählte mir mein Sohn dann auch. Er war glücklich und wieder fit und trotzdem sauber, ohne Brüllerei. Für mich waren das zwei Erfolgserlebnisse, die ich weiß Gott, nicht jeden Tag erlebe!

Alternativen bieten, Ideen finden

  • Möglichst nicht schreien – umso lauter wir werden, umso gereizter wird die Situation – Kinder spiegeln uns
  • Wenn die Zeit da ist, versucht es ein paar Minuten später wieder
  • Kündigt euer Vorhaben an: „Wenn du damit fertig bist, Wechsel ich dir kurz die Windel, dann kannst du weiterspielen“.
  • Versucht, dass Kind einzubeziehen: „Kannst du mir mal zeigen, ob du das Halstuch schon allein anziehen kannst?“
  • Kompromisse finden: Möchte euer Kind ein bestimmtes Kleidungsstück nicht anziehen, geht vielleicht doch ein anderes?
  • Möchte das Kind die Jacke gerade partout nicht anziehen, könnt ihr sie vielleicht mit rausnehmen und vor der Tür anziehen?
  • Nicht herablassend oder abwertend über das Kind und mit dem Kind sprechen. Beispiel: „Bist du zu doof dafür?“ Wertschätzung!
  • Kann euer Kind sprechen, fragt es einfach mal, sofern es von der Stimmung her ansprechbar ist, was es gerade möchte oder nicht möchte, warum es weint. Manchmal verblüffen uns Kinder.
Achtsamer Umgang mit Kindern Pin

Machen wir uns nichts vor, umso älter Kinder werden, umso mehr Bestechung kommt dazu. „Wenn du das jetzt schnell machst, darfst du noch dieses oder jenes“. Ich finde das nicht schlimm, wir brauchen doch alle einen Anreiz um etwas zu machen, worauf wir gerade keine Lust haben, oder?

Und jaaaa, Kinder „müssen“ lernen, dass es nicht für alles im Leben eine Belohnung gibt. Wir sprechen hier aber über Kleinkinder und die „müssen“ in erster Linie erstmal gar nichts!

Ähnlich zu beobachten unterwegs oder beim Einkaufen mit Kindern. Wenn ich merke, mein Kind kommt langsam ans Limit, gibt es eine Kleinigkeit zu essen (Ablenkung) oder ich bitte um seine Hilfe bei etwas (auch Ablenkung) und wir versuchen, schnell zum Ende zu kommen.

Gegen den Willen des Kindes

Was lernt ein Kind, wenn wir seinen Willen oft übergehen, sein „Nein, bitte nicht“ ignorieren, unsere „Macht“ ausnutzen? Es lernt, dass sein „Nein“ nichts bedeutet, dass es nicht ernst genommen wird. Wie soll es ein selbstbewusster Erwachsene/r werden, der sein NEIN auch vertreten kann?

Unsere Kinder sollen lernen, dass ihr „NEIN, ich möchte das nicht“, Bedeutung hat! Dass sie Privatsphäre haben, dass ihre Gefühle und ihre Meinung ernst genommen werden und sie in uns, ihren Eltern, ihren Bezugspersonen, ein Gegenüber finden, dass sie wertschätzt.

Achtsamer Umgang mit Kindern kann geübt werden. Ich reflektiere mich oft und hinterfrage, war dieses oder jenes meinerseits jetzt wirklich nötig oder könnte ich es anders machen. Ich meckere viel und daran möchte ich arbeiten. Aber dazu ein anderes Mal.

Ich glaube, mir hat tatsächlich geholfen, dass mein großer Sohn hochsensibel ist und der Umgang mit ihm und seinen vermeintlichen (Über)reaktionen mich in Geduld und Selbstreflexion geübt hat.

Wie seht ihr das? Zieht ihr durch, was ihr gerade umsetzen wollt oder haltet ihr auch mal inne und überlegt, ob es vielleicht auch anders geht?

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