Leben mit Herzkind - Baby mit Herzfehler - eine Mama im Interview
Gastbeiträge & Interviews

Ein Leben mit Herzkind – Mama im Interview

„Herzkind“ bezeichnet neben dem Kosewort auch das Leben mit einem Kind, das mit einem Herzfehler geboren wurde. Da liegt es nahe, dass der Blog von Claudia „Herzkindblog“ heißt.

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1. Liebe Claudia, die Standard Frage: Wie alt warst du bei den Geburten deiner Kinder?

Meine erste Tochter kam 17. Tage vor meinem 39. Geburtstag zur Welt. Der kleine Bruder 14. Tage vor meinem 42. Geburtstag. Wir sind jetzt zu Hause 3 Mai-Kinder. 

2.  Hast du dich bewusst dafür entschieden, „so spät“ Kinder zu bekommen oder hat einfach das Leben entschieden?

Ganz klar: beides!  Meinen heutigen Mann habe ich kennengelernt, als ich 30 und er 33 Jahre alt war. Und nachdem wir uns kennengelernt hatten, haben wir auch erst einmal zu zweit das Leben sehr genossen! Wir haben erst in Basel und dann in Berlin gelebt und uns erst ein paar Jahre später hier in Mettmann „richtig“ niedergelassen.

Der Startschuss fürs Kinderkriegen kam dann noch ein paar Jahre später. Ich hatte immer tolle und spannende Jobs. Doch auf einmal war da ein Loch. Die nächste Herausforderung war nicht zu sehen, der Chef mit den Gedanken woanders, das Projekt fast fertig.

Eines Tages hab ich dann zum Mann gesagt: wenn nicht jetzt, dann nie! Und es hat auch sofort geklappt. Nach einem Sternenkind in 2018, kam 2019 unsere Tochter zur Welt. Und auch beim 3. Versuch hat es direkt geklappt. Wenigstens wusste ich dann, warum ich über 20 Jahre verhütet hatte. 

Von Karrierefrau zum artgerecht®-Coach

3. Nach der Geburt deines ersten Kindes hast du dich beruflich komplett neu orientiert. Magst du uns erzählen, wie es zu dieser Veränderung kam und was du jetzt machst?

In meiner ersten Elternzeit kam vieles zusammen. Dass in meinem eigentlich spannenden Job keine Herausforderung mehr auf mich wartete, hatte ich schon beschrieben. Der Umbruch in der Firma ging so weit, dass sich meine damalige Abteilung komplett aufgelöst hat. Da zog mich also gar nichts mehr hin.

Dann kam Corona und der erste Lockdown. Gegen das „Decke auf den Kopf fallen“,  habe ich Masken genäht (manchmal mit Baby auf dem Rücken) und gespendet. Später auch verkauft. Und dann in einem solchen Umfang, dass ich ein Gewerbe anmelden musste. Und ZACK, hatte ich Feuer gefangen, eine Selbstständigkeit musste es sein!

Im zweiten Lockdown –  noch in Elternzeit – habe ich meine Festanstellung gekündigt. 

Zunächst habe ich mich mit meinem eigentlichen Job selbstständig gemacht, also als Freelancerin im IT Projektmanagement und Business Coaching.

Direkt nach der Eingewöhnung der Tochter in die KiTa – nach gut einem Jahr – habe ich den ersten Auftrag angenommen. Und während ich den so abarbeitete merkte ich, wie wenig Spaß ich noch hatte an der Arbeit mit IT-Systemen, Steering Committees, Anzugträgern und Plänen anderer. 

Da ich mich gleichzeitig für meine Tochter durch alle Bücher zum Thema Bedürfnisorientierung, artgerecht, Mütter-Rollen und gleichberechtigter Elternschaft durchgefressen hatte, beschloss ich im Coaching das Klientel zu wechseln.

Und siehe da:. Die Arbeit mit Mamas, die ihr Babyjahr doch gar nicht soooo toll, rosarot und kuschelig genießen konnten, hat mir riesigen Spaß gemacht! Ich mache gerade parallel noch die Ausbildung zum artgerecht®️-Coach und bin damit fast fertig.

Jetzt nach der Geburt des Herzkindes (der angeborene Herzfehler heißt Fallot‘sche Tetralogie, bzw. Fallot’sche Pentralogie), möchte ich mich noch weiter spezialisieren. Mütter in meiner Situation brauchen besonderen Support. Erschreckende Diagnosen, Aufenthalte in Krankenhäusern, häufige Arzt- und Therapiebesuche, das regelmäßige verabreichen von Medikamenten und vieles mehr, verlangt dem Mama-Herz einiges ab. Hier kann eine gute mentale Vorbereitung und Begleitung eine sehr tolle Stütze sein!

Feindiagnostik – kann Leben retten

4. Wie standest du vor der Geburt deiner Kinder zum Thema Feindiagnostik? Das Thema polarisiert ja sehr.

Bei den ersten beiden Schwangerschaften – davon habe ich ja nur eine ausgetragen – haben wir als Paar eigentlich gar nicht klar darüber geredet. Was ein Ergebnis eines Ersttrimester Screenings bedeuten kann, das haben wir nie besprochen. Zwar sagte mein Mann, dass er mit einer möglichen Behinderung gar nicht klar käme. Ich persönlich habe glaube ich alles verdrängt. Und dann war der passende Zeitraum für das Ersttrimester Screening auch schon vorbei.

Zur Feindiagnostik sind wir dann aber gegangen. Ich wollte wissen, ob das Kind nach der Geburt spezielle Unterstützung braucht. Das hätte die Geburt in unserem kuscheligen Kreiskrankenhaus hier in Mettmann torpediert. Aber die Große war Kerngesund! Und danach habe ich auch nie wieder darüber nachgedacht, wie bedeutend solche Untersuchungen sind.

Und dann die dritte Schwangerschaft. Ich über 40 und die Gynäkologin dieses Mal etwas deutlicher, als es um das Thema Ersttrimester Screening ging. Und dieses Mal war die Situation auch anders. Wir haben nicht nur für uns entschieden, das Screening zu machen, sondern auch für die Schwester. Denn wir alle drei als Familie hätten mit dem Ergebnis leben müssen.

Und so sind wir hingegangen. Mit dem Hintergrund genau zu schauen, ob wir das, was auf uns zukommt, gewuppt bekommen. Und ich im Hinterkopf den unausgesprochenen Gedanken: die Schwangerschaft beenden könnte ich eh nie!

Aus heutiger Sicht bin ich dankbar, dass die Diagnose so früh in der Schwangerschaft gestellt wurde, dass ich mich so lange hab vorbereiten können. So konnten wir unsere Gedanken sortieren, mit viel Bedacht die Klinik aussuchen und die notwendige Unterstützung organisieren.

„Pflicht auf Wissen“

Meine jetzige Meinung ist, dass wir kein „Recht auf Nichtwissen haben“, sondern eher eine „Pflicht auf Wissen“!

Ohne die Diagnose, hätte das Herzkind die ersten Tage seines Leben nicht überlebt. Zu weit wäre der Weg in eine entsprechende Klinik gewesen. Hätte ich auf MEIN Recht auf Nichtwissen gepocht, hätte es meinem Sohn geschadet. Also: Feindiagnostik muss sein, meiner Meinung nach! Ob es aber das Ersttrimester-Screening sein muss, um die Trisomien zu checken, das ist jedem selbst überlassen.

Und auch meine Meinung zur Humangenetik hat sich geändert. Ich kenne nun Wörter wie „syndromal“. So werden Symptome bezeichnet, die durch ein Syndrom hervorgerufen werden. Und so kann die Humangenetik Symptome „voraussagen“, denen man in manchen Fällen schon im Vorfeld entgegenwirken kann.

Poche ich als Mutter hier auch auf mein „Recht auf Nichtwissen“, verwehre ich meinem Kind eventuell Therapien, die späteren Herausforderungen zuvor kommen und diese abmildern können.

Das Ersttrimester-Screening ist für mich immernoch optional. Hier können die Diagnosen einfach noch früher gestellt werden. Aber spätestens die Feindiagnostik bzw. der Feinultraschall sollte meiner Meinung nach von erfahrenden Pränataldiagnostiker*innen durchgeführt werden (DEGUM 2 oder 3).

Zum Thema Polarisierung: mir geht es bei den Untersuchungen nicht primär darum herauszufinden, OB man das Kind bekommen möchte. Sondern eher darum, WO.

Claudia Kamprolf – Herzkindblog

Ist das Kind augenscheinlich Gesund, kann frei entschieden werden. Ist das Kind nicht gesund, kann eine Geburtsklinik gewählt werden, die dem Baby nach der Geburt den besten Start ermöglichen kann.

Die Diagnose „Herzkind“

5. Magst du uns erzählen, was sich bei der Feindiagnostik in deiner zweiten Schwangerschaft herausgestellt und wie es dir/euch geholfen hat?

Wir haben bereits beim Ersttrimester-Screening von einem möglichen Herzfehler erfahren. Danach folgten mehrere Verlaufskontrollen und auch noch die Feindiagnostik. Dabei hat sich neben dem Herzfehler noch ein Double Bubble Sign gezeigt. Das ist ein auf dem Ultraschall erkennbares Phänomen, das auf einen Verschluss des Darms hinweist.

Die ganzen Diagnosen waren anfangs mehr als schrecklich. Aber mit der Aussicht, dass nach entsprechenden Operationen ein normales Leben möglich sei, hat uns beruhigt.

Ich weiß, dass ich beim ersten Termin mit einem Kardiologen den Satz sagte: „Der Kleine ist gekommen um zu bleiben!“ und das hat uns unser Sohnemann mehr als ein Mal bewiesen! ❤️

6. Wie ging es weiter mit den Diagnosen bzw. dem Herzfehler? Ihr habt da ja schon einiges hinter euch.

Das ist wirklich eine lange Geschichte. Wer so richtig mitfiebern möchte, der kann das auf meinem HerzkindBlog nachlesen!

Die erste OP am 4. Lebenstag

Im Endeffekt wurde an seinem 4. Lebenstag der Darm operiert. Von dieser ersten OP hat er sich aber nicht gut berappelt, die Sauerstoffsättigung von unter 80% tat ihr übriges. Und so ist aus der Katheter-Untersuchung am 11. Lebenstag eine Not-OP geworden, die seinen Blutkreislauf so unter Stress gesetzt hat, dass er danach zwei mal reanimiert, der Brustkorb wiedereröffnet und die ECMO erneut angelegt werden musste. Und irgendwann an diesem Tag, hat der Kämpfer zwei Schlaganfälle erlitten.

Aber wir konnten die Klinik knapp einen Monat nach diesem OP-Tag verlassen,

Und wieder 4 Monate später hatten wir die Korrektur-OP! Seitdem geht es dem Herzkind richtig gut! 🍀

7. Seid ihr jetzt durch oder müsst ihr dauerhaft etwas beachten, wenn es um das Leben mit einem „Herzkind“ geht?

Bei „unserem“ Herzfehler, müssen wir aktuell nicht viel beachten. Es stehen regelmäßig Kontrolltermine an, deren Abstände immer größer werden. Wenn das Herz wächst, muss überprüft werden, ob alle Herzklappen und Arterien proportional mitwachsen, damit das Herz, besser gesagt der Blutkreislauf, im „Gleichgewicht“ bleibt.

Außerdem muss überprüft werden, ob sich die Muskelmasse an der rechten Herzkammer zurück gebildet hat. Diese Herzkammer war bis zur OP quasi allein dafür verantwortlich, dass Blut Richtung Lunge und Körper gepumpt wird. Die ist nun quasi zu stark, während die linke Herzkammer noch trainieren muss.

Bei uns stehen aber hier die Zeichen eindeutig auf Entspannung und ein weiterer Eingriff in weiter Ferne!

Allerdings werden wahrscheinlich die Schlaganfälle noch irgendwann „sichtbarer“ werden. Sei es, dass er eine Epilepsie entwickelt, oder motorische Einschränkungen hat. Oder beides. Dahingehend ist unser Herzkind gerade eine totale Wundertüte.

Schwanger mit 41

8. Hat dein Alter in irgendeiner Form eine Rolle gespielt oder wurde es mal thematisiert?

Mein Alter hat nur in den Anfängen eine Rolle gespielt. Dass die Schwangerschaft nach dem 40. Lebensjahr eingetreten ist, war einer der Hauptgründe das Ersttrimester-Screening zu machen. In unserem tollen Alter (ich mag mein Alter wirklich!) steigen die Wahrscheinlichkeiten stark an, dass es zu besonderen Kindern kommt.

Allerdings beim Ergebnis des ganzen, hat das Alter keine Rolle gespielt. Herzfehler sind bei Kindern sehr verbreitet. Von 1000 Kindern sind statistisch etwa 7-10 Kinder betroffen, wobei das Alter der Mutter, bzw. der Eltern keine Rolle spielt. Ich gebe zu, dass ich darüber echt erleichtert war.

9. Wie alt bist du jetzt und kannst du dir weitere Kinder vorstellen oder fühlt ihr euch komplett?

Baby mit Herzfehler Pin

Ich bin heute frische 42 Jahre alt. Ich habe früher mal mit 3 Kindern geliebäugelt, mein Mann mit 2. So, wie wir jeweils aufgewachsen sind.  Dann hat aber doch das Schicksal entschieden. Ich habe bei der letzten Schwangerschaft kurz nach der Geburt ein HELLP-Syndrom entwickelt. Das heißt, mein Baby und ich haben die ersten Nächte auf unterschiedlichen Intensivstationen verbracht. 

10. Gibt es etwas, dass du Frauen mit Kinderwunsch, insbesondere ü40 Frauen mit auf den Weg geben möchtest?

Ich glaube, es gibt nie den perfekten Zeitpunkt für Kinder. 

Zugegeben, mein Körper wäre bei den beiden Schwangerschaften gerne 10-20 Jahre jünger gewesen. Er hätte das ein oder andere eventuell (aber nicht sicher!) besser weggesteckt.

Dennoch möchte ich meine bisherigen Erlebnisse und Erfahrungen nicht missen. Sie machen mich als Menschen aus, der jetzt Mama geworden ist. Meine Kinder profitieren von meinem „vollen“ Leben davor!

Mein Mann und ich haben die „Rushhour“ des Lebens entzerrt. Wir haben die Kinder bekommen, als wir Haus und Karriere schon „fertig“ hatten. Wir haben mehr Zeit, oder nehmen sie uns bewusster. Und wir können es uns leisten, weil wir einige Jahre als DINKS (Double Income, No Kids) uns ein schönes Geld-Polster erarbeitet haben.

Ich würde keiner zukünftigen jungen Mama raten, dass sie noch 10 Jahre warten soll. Aber ich werde jeder Mama in meinem Alter raten, sich nicht vom Alter verrückt machen zu lassen!

Ein wundervolles Abschlusswort! Dem habe ich nichts hinzuzuügen. Vielen Dank für deine ehrlichen Antworten. Ich freue mich sehr für euch, dass ihr nun in ein hoffentlich op-freies Leben, voller wundervoller Momente mit eurem Herzkind, starten könnt!

Wer mehr erfahren möchte, hüpft rüber zu Claudias Herzkind-Blog oder liest hier weitere, tolle Interviews von:

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